Die A. E. - Briefe: -3-
Wie erwartet gab es heute wieder einen Brief. Samen lagen dabei, sie sollen von einem Baum stammen den A.E. nicht zu benennen weiß. Die Samen alleine sagen mir auch nichts. Ich muss meine Kamera wieder fit machen. Vielleicht weiß ja hier irgendwer zu welcher Pflanze sie gehören könnten.
Aber mit den Briefen werde ich in der Reihenfolge bleiben. Hier also die Nummer 3:
"Guten Tag, meine Liebe,
soll ich Dir von dieser Stadt erzählen? Interessiert es Dich? Ich setze das genauso einfach voraus, wie ich voraussetze, dass Du meine Briefe liest. Fußt nicht auf derlei Annahmen unser ganzes Leben? Wir nehmen an, setzen voraus, unterstellen ..., was? Nahezu Alles, wenn man es genau nimmt. Einer nimmt an, er wisse, wie man sich zu benehmen habe. Ein anderer setzt voraus, dass der Partner ihn ebenso innig liebe, wie er diesen. Die Nächste unterstellt, ihr Kollege überlasse die undankbaren Arbeiten absichtlich ihr. Vielleicht haben sie ja recht damit, vielleicht aber auch nicht. Und ich? Wie oft habe ich schon müde, entnervt oder überheblich abgewinkt, wenn mich jemand dazu ermuntern wollte, herauszufinden, ob meine Annahmen berechtigt seien.
Aber eigentlich wollte ich Dir von der Stadt berichten. Von dieser leeren Stadt, in der ich heute kaum auf Menschen traf. Dunkle Wolkenbäuche stützten sich am Nachmittag auf die Firste der schiefergrauen Dächer. Ich war absichtslos aufgebrochen, einzig damit beschäftigt, mich auf mein Nichtstun zu konzentrieren. Nach ein paar Schritten schien mir, dass ich in dieser Stadt noch nie eine Tür hatte aufgehen sehen. Nur jener, durch die ich selbst getreten war, konnte ich mich entsinnen. Lange Zeit ließ mich dieser Gedanke nicht mehr los. Immer mehr verstieg ich mich in wunderliche Ideenkonstrukte darüber, welchen Grund es haben könnte, dass in dieser Stadt keine Menschen durch Türen traten.
Als unvermittelt, kaum einen Meter vor mir, eine Haustür geräuschlos aufschwang, erschrak ich heftig. Zuerst geriet mein Herz, und dann meine Beine ins Stolpern. Die junge Frau, die aus dem Haus getreten war, eine Asiatin wie mir schien, bemerkte mein Straucheln und wollte mir zu Hilfe eilen. Doch ich hatte mich schon wieder gefangen und wehrte höflich aber bestimmt ab. Oder war Stolz, vielleicht gar Eitelkeit der Anlass für meine abweisende Geste? Ich schlenderte betont gelassen weiter. Mit immer fernerem Absatzklappern hastete die Asiatin davon. Sie bog in eine Gasse ein und war verschwunden, als ich bis zur Abzweigung gelangt war.
Kurz erwog ich, in ein Café einzukehren. Da sich jedoch so schnell keines finden ließ, verwarf ich den Plan und machte mich statt dessen auf den Rückweg zur Pension. Kaum drei Minuten später stand ich vor deren Eingang. Mehr als zwei Stunden war ich ziellos durch die Stadt geschlendert und hatte mich fast an deren entgegengesetztem Ende gewähnt. Wie konnte ich nur so schnell zurückgelangt sein? Mißtrauisch steckte ich den Schlüssel ins Schloss, er passte. In meinem Zimmer fand ich alles so vor, wie ich es verlassen hatte. Ich legte mich auf das akkurat zurechtgezogene Bett. Das Deckbett fühlte sich warm an, als sei gerade eben noch ein Wesen, Mensch oder Tier, darauf gelegen. Statt erschreckt hochzufahren, statt entsetzt zu sein oder wenigstens ein namenloses Befremden zu verspüren, schmiegte ich meine Wange an den weißen, glatten Stoff und schlief augenblicklich ein.
Jetzt, da ich meine Erlebnisse für Dich aufschreibe, erscheint mir alles wie die Geschichte eines fremden Menschen. Aber ich selbst habe sie erlebt, wenn auch nur wie jemand, der auf sich nimmt, was einem Anderen zugedacht war.
Die Dämmerung kommt, ich möchte diesen Abendfrieden nicht durch künstliches Licht stören und schließe an dieser Stelle. Gute Nacht, bleib mir gewogen.
Dein A.E."
Aber mit den Briefen werde ich in der Reihenfolge bleiben. Hier also die Nummer 3:
"Guten Tag, meine Liebe,
soll ich Dir von dieser Stadt erzählen? Interessiert es Dich? Ich setze das genauso einfach voraus, wie ich voraussetze, dass Du meine Briefe liest. Fußt nicht auf derlei Annahmen unser ganzes Leben? Wir nehmen an, setzen voraus, unterstellen ..., was? Nahezu Alles, wenn man es genau nimmt. Einer nimmt an, er wisse, wie man sich zu benehmen habe. Ein anderer setzt voraus, dass der Partner ihn ebenso innig liebe, wie er diesen. Die Nächste unterstellt, ihr Kollege überlasse die undankbaren Arbeiten absichtlich ihr. Vielleicht haben sie ja recht damit, vielleicht aber auch nicht. Und ich? Wie oft habe ich schon müde, entnervt oder überheblich abgewinkt, wenn mich jemand dazu ermuntern wollte, herauszufinden, ob meine Annahmen berechtigt seien.
Aber eigentlich wollte ich Dir von der Stadt berichten. Von dieser leeren Stadt, in der ich heute kaum auf Menschen traf. Dunkle Wolkenbäuche stützten sich am Nachmittag auf die Firste der schiefergrauen Dächer. Ich war absichtslos aufgebrochen, einzig damit beschäftigt, mich auf mein Nichtstun zu konzentrieren. Nach ein paar Schritten schien mir, dass ich in dieser Stadt noch nie eine Tür hatte aufgehen sehen. Nur jener, durch die ich selbst getreten war, konnte ich mich entsinnen. Lange Zeit ließ mich dieser Gedanke nicht mehr los. Immer mehr verstieg ich mich in wunderliche Ideenkonstrukte darüber, welchen Grund es haben könnte, dass in dieser Stadt keine Menschen durch Türen traten.
Als unvermittelt, kaum einen Meter vor mir, eine Haustür geräuschlos aufschwang, erschrak ich heftig. Zuerst geriet mein Herz, und dann meine Beine ins Stolpern. Die junge Frau, die aus dem Haus getreten war, eine Asiatin wie mir schien, bemerkte mein Straucheln und wollte mir zu Hilfe eilen. Doch ich hatte mich schon wieder gefangen und wehrte höflich aber bestimmt ab. Oder war Stolz, vielleicht gar Eitelkeit der Anlass für meine abweisende Geste? Ich schlenderte betont gelassen weiter. Mit immer fernerem Absatzklappern hastete die Asiatin davon. Sie bog in eine Gasse ein und war verschwunden, als ich bis zur Abzweigung gelangt war.
Kurz erwog ich, in ein Café einzukehren. Da sich jedoch so schnell keines finden ließ, verwarf ich den Plan und machte mich statt dessen auf den Rückweg zur Pension. Kaum drei Minuten später stand ich vor deren Eingang. Mehr als zwei Stunden war ich ziellos durch die Stadt geschlendert und hatte mich fast an deren entgegengesetztem Ende gewähnt. Wie konnte ich nur so schnell zurückgelangt sein? Mißtrauisch steckte ich den Schlüssel ins Schloss, er passte. In meinem Zimmer fand ich alles so vor, wie ich es verlassen hatte. Ich legte mich auf das akkurat zurechtgezogene Bett. Das Deckbett fühlte sich warm an, als sei gerade eben noch ein Wesen, Mensch oder Tier, darauf gelegen. Statt erschreckt hochzufahren, statt entsetzt zu sein oder wenigstens ein namenloses Befremden zu verspüren, schmiegte ich meine Wange an den weißen, glatten Stoff und schlief augenblicklich ein.
Jetzt, da ich meine Erlebnisse für Dich aufschreibe, erscheint mir alles wie die Geschichte eines fremden Menschen. Aber ich selbst habe sie erlebt, wenn auch nur wie jemand, der auf sich nimmt, was einem Anderen zugedacht war.
Die Dämmerung kommt, ich möchte diesen Abendfrieden nicht durch künstliches Licht stören und schließe an dieser Stelle. Gute Nacht, bleib mir gewogen.
Dein A.E."
schreiben wie atmen - 16. Apr, 15:32
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