Da war also dieses hochmoderne, sicher auch sterile und absolut HELLE Zimmer in dem eine Liege stand, für die eine solche Bezeichnung bestimmt ein Affront ist. Die Alte Saeckin vermutete hinter all der hellcremefarbenen und chromspiegelnden Schlichtheit ein riesiges Arsenal zusätzlicher Funktionen, die diese - nun ja, was denn? - also "Liege" dezent verbarg. Von der Helferin angeleitet entkleidete die Alte Saeckin das kranke Knie und legte sich auf das edle Designerstück.
Der flink hereinwehende, schlecht- bis unterernährte, und überdies von einer Hauterkrankung geplagte Professor wendete sich zielsicher, engagiert und aufgeschlossen dem altsaeckischen Knie zu. Er sprach zu ihm. Ob er die Alte Saeckin bemerkte, war nicht festzustellen. Auf ihrerseitige Einlassung reagierte er allerhöchstens zufällig, wenn er mit dem Knie auf ein sachverwandtes Thema stieß. Er vereinbarte nach wenigen Sekunden mit dem Knie eine Röntgenaufnahme.
Als es an die Besprechung des Ergebnisses jenes erwählten bildgebenden Diagnoseverfahrens gehen sollte, da sah die Alte Saeckin ihre Chance einer Gesprächsbeteiligung gekommen. Womit sie jedoch schief lag. Der nun zusätzlich noch zersauste Professor (was er wohl in der Zwischenzeit erlebt hatte?) wandte sich freundlich an die Röntgenaufnahme, die am Bildschirm seines Computers angezeigt wurde, um mit ihr das Gespräch fortzusetzen, welches er kurz zuvor mit dem Knie aufgenommen hatte. Nur aufmerksamstes Lauschen ermöglichte der Alten Saeckin einen gewissen Überblick über ihre orthopädische Problemlage zu gewinnen.
Da im an der Rezeption ausgeteilten Patientenvorsortierbogen von der Alten Saeckin schon der pekuniäre Offenbarungseid geleistet worden war, indem sie bei:
"Wünschen Sie gesondert zu honorierende Chefarztleistungen?" das Neinkästchen ankreuzte, und anschließend auch noch zugab, keine besonderen Zusatzversicherungen zu besitzen, war sie kaum überrascht zu erfahren, dass Hilfe ihr lediglich vom niedergelassenen Orthopäden zuteil werden könne.
Nachdem der ansatzanorektische Professor die Kommunikation mit Knie und Röntgenbild eingestellt hatte, verließ er eilig die Kammer des blitzsauberen Schreckens. Die sehr freundliche Helferin befasste sich noch mit der Krankenakte der Alten Saeckin. Ein roter Punkt prangte in der oberen rechten Ecke der Mappe. In den Steckordnern sah die Alte Saeckin andere Akten. Die meisten trugen grüne oder gelbe Punkte. Erst viel später, auf der Autobahn nämlich, überkam die Alte Saeckin der Verdacht, dass die Punkte eine Art Ampelsystem vorstellten, so dass der rote Punkt der Alten Saeckin die unattraktive Dritte Klasse unter den Patienten zuwies:
"Kassenpatientin ohne Zusatzversicherungen".
Da war der Alten Saeckin natürlich auch klar, dass in dieser Kategorie das direkte Gespräch mit dem Kranken nicht mehr vom Kostenträger übernommen wurde. Und wer hätte sonst dafür gerade stehen sollen, so ganz ohne Zusatzversicherungen? Am Ende konzentrierte sich die Alte Saeckin wieder aufs Autofahren und die Tatsache, dass so ein intensives Gespräch mit dem kranken Knie für viele Menschen in anderen Teilen der Welt eine Gnade gewesen wäre. Was zählten da schon die paar lumpigen altsaeckischen Schmerzen oder die latente Gehunfähigkeit. Der niedergelassene Orthopäde der Alten Saeckin würde es dann schon richten. Jetzt musste sie nur noch herausfinden, WO er sich niedergelassen hatte, und ob er innert eines halben Jahres noch einen Termin für sie würde erübrigen können. Trotzdem, jammern wollte die Alte Saeckin nicht mehr länger, denn: ist nicht die Welt angefüllt mit viel größerem Jammer und Elend? Na also!
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