18
Okt
2007

Alte Saecke sind gerne gemein

Sie glauben das nicht? Ha! Ich hier - gestern in der Straßenbahn! Eine zweibeinige Zukunftshoffnung mit Hosensackarsch unterhalb des Kniegelenks, Piratenkopftüchlein (adrett geknotet) unter einer Schirmmütze auf der in güldenen Lettern "fick dich" zu lesen war, weit!!! vorgeschobenem mahlenden Unterkiefer und einem Gang der sich vom trägen Vorwärtsschreiten des Silberrückens im nahegelegenen Tierpark lediglich dadurch unterschied, dass der Menschenaffe die ganze Aktion wesentlich eleganter durchzuführen in der Lage ist. Dieser männliche Jugendliche also zog eine turnschuhgestützte Schlammspur durch den Gang des Öffentlichen Verkehrsmittels. Er trug eine Flasche bei sich die ein kreischbuntes alkoholisches Getränk enthielt und aus den Ohrstöpseln strömten Töne. Gesang anscheinend und dumpfes elektronisches Stampfen.
Nachdem er sich direkt vor mir in einen Vierersitz geworfen hatte legte er die Schlammschuhe auf den gegenüberliegenden Sitz. Eine ältere Dame in der gegenüberliegenden Reihe richtete diesbezüglich das Wort an ihn, das er aufgrund der Dröhntöne gewiß nicht verstehen konnte. Trotzdem reagierte er zügig und wie zu erwarten mit einem Fingertippen an die Aufschrift seiner Schirmmütze und anschließend präsentiertem Mittelfinger. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, da ich hinter ihm saß. Es muß jedenfalls abschreckend genug gewesen sein, so dass die alte Dame sich in ein anderes Abteil der Straßenbahn verzog. Der junge Mann bediente den Regler seines recht leistungsähigen MP3 PLayers und holte das letzte aus dem Gerät heraus. Es war sehr LAUT, an lesen war nicht zu denken. Ich schaute mich also um und entdeckte eine Haltestelle später, dass zwei Herren in meiner Altersklasse (50+) einstiegen, ganz offensichtlich Kontrolleure. Durch diese Verstärkung ermutigtt fasste ich mir ein Herz und grub in meiner Tasche nach geeignetem Werkzeug. Wieder einmal erwies sich das Mitführen eines qualitätsvollen Necessaires als hilfreich. Kurz bevor die Herren in Blau unser Abteil erreicht hatten zückte ich den Nagelknipser, schob vorsichtig meine Hand zwischen den Rückenlehnen hindurch und gelangte zielstrebig, wenn auch nicht ohne Mühe an die Strippe, die die Ohrstöpsel mit der Quelle des Lärms verband. Beide Kontrolleure hatten mein Treiben entdeckt und beobachteten aus den Augenwinkeln die Fortschritte. Zum Eingreifen fühlten sie sich jedenfalls nicht berufen. Ich knipste also zackig und entschlossen, zog meine Hand in aller Eile zurück und verstaute so schnell es ging mein Necessaire um meinen Blick in das bereitliegende Buch zu senken.
Der junge Mann tastete nach dem Lärmgerät, stellte einen Moment lang fluchend daran herum um schließlich die abgeschnittene Strippe zu entdecken. Er fuhr auf, drehte sich instinktsicher nach mir um, während ich unbeteiligt in meinem Buch las. Zeitgleich erscholl die Stimme eines Kontrolleurs.
"Ihre Fahrkarten bitte"
"Ey - die Alte da hat..."
"Fahrkarten vorzeigen bitte"
"Abba die Alte da hat mir..."
"Haben sie eine Fahrkarte oder nicht?"
Der Hilfspirat wühlt in seinen bodenlosen Hosentaschen. Dazu mußte er fast in die Hocke gehen, da die Fahrkarte sich offenbar auf der Höhe der Sprunggelenke befand.
Mittlerweile war auch die alte Dame von vorhin wieder aufgetaucht, die wohl ebenfalls ihre Stunde gekommen sah.
"Der junge Mann hat hier den ganzen Sitz verdreckt mit seinen Schuhen" klagte sie.
"Halt dich raus Alte" ranzte der hoffnungsvolle Jüngling dessen Fahrkarte nun begutachtet wurde.
"Haben sie ihre dreckigen Schuhe auf das Polster gelegt?" wollte der zweite der Kontrolleure wissen.
"Was für dreckige Schuhe?" nuschelte der so Angesprochene und holte noch ein mal tief Luft um seinerseits Anklage zu erheben.
"Ey Mann, die Alte da hat mir das Teil hier abgeschnitten" sagte er und hielt anklagend die Nabelschnur seines MP3 in die Luft.
"Haben sie das getan?" fragte mich der Kontrolleur.
"Wieso sollte ich? Das wäre doch Sachbeschädigung gewesen" entgegnete ich so scheinheilig wie möglich.
"Abba die war das bestimmt"
"Ah ja, und wer hat hier den Sitz verdreckt?"
"Ich nich!"
"Und das soll ich ihnen glauben?"
"Yepp Alter!"
"Gut, mach ich, aber dann glaube ich der Dame natürlich auch was sie sagt."
Der Sackhosenträger schnappte nach Luft und wollte sich noch einmal zu Wort melden.
"Sitze reinigen kostet übrigens sechzig Euro" merkte der erste Kontrolleur an.
"Wichser. Miese alte Saecke!" kläffte es unter der Schirmmütze hervor, während sich die Beutelhose Richtung Ausgang bewegte um an der nächsten Haltestelle auszusteigen.
"Machen sie sowas nie wenn die zu mehreren sind. Das kann bös ins Auge gehen" sagte der erste Kontrolleur.
"Hätt ich ja nicht gemacht, wenn ich sie nicht gesehen hätte" nuschelte ich.
"Das will ich jetzt mal überhört haben" sagte er. Dann gingen die beiden grüßend davon.
649 mal gelesen
bonanzaMARGOT - 18. Okt, 13:37

kompliment!

die story hast du wunderbar leicht runtergeschrieben. ein genuß.
ich konnte mir die szene nur zu gut bildlich vorstellen.
diese alte säckin war wirklich gemein!

gruß
bon.

Moeckel (Gast) - 18. Okt, 14:27

Also...

... den "Schneid" der alten Säckin würde ich mehreren wünschen.
Waren wir früher auch so drauf?
schreiben wie atmen - 18. Okt, 14:41

Hmmm tja....

@Bon. Danke für die Blumen.
@Moeckel: SO waren wir nicht drauf, aber ich fürchte mal den damals Erwachsenen und Alten waren wir mindestens genauso sehr ein Dorn im Auge.
Das ist wohl eine Zusatzklausel im Generationenvertrag.
bonanzaMARGOT - 18. Okt, 15:02

junge menschen

zeigten zu jeder zeit ihren protest gegen das (erwachsene) establishment und machten ihre streiche oder waren einfach, wie in dem von der alten säckin beschriebenen falle, frech und geistlos. die geistlosigkeit setzt sich im alter leider meist fort.
einige dieser geistlosen alten säcke sitzen dann bequem in ihren luxusautos und fahren mit lichthupe auf der überholspur der autobahn, oder sie schleppen auf dem autostrich junkies ab, um sich für 5 euro bedienen zu lassen.
tja, gegen diese alten säcke ist unser junger freund mit der aufschrift "fick dich" auf seiner mütze harmlos und geht uns feinnervigen spießern lediglich auf den sack. ich betrachte solche hosenscheißer wie schreiende kleinkinder - die nerven, aber man sagt sich: ist nun mal so ... ist doch noch ein baby.

bon.
schreiben wie atmen - 18. Okt, 16:29

Größenunterschied beachten

Babys brechen mir nicht das Nasenbein, klauen mir nicht die Brieftasche, treten nicht meinen Hund und zerstören nicht die öffentlichen Einrichtungen auf die ich als alte Saeckin angewiesen bin. Da hilft auch die besänftigende Idee: "der will doch bloß spielen" nicht weiter.
Ich fürchte dieses Problem hängt, genau wie so manches andere, eng mit der allgemeinen Verblödung zusammen. Das ist zwar nur bedingt lustig, aber ohne Humor kann man es gar nicht aushalten.
Eine perfekte Zwickmühle, innerhalb derer ich leider schon mehr als einmal schmerzhaft an die Grenzen meiner Toleranz geprallt bin. Nebenbei bemerkt nicht nur gegenüber Jugendlichen.

Vor sich hingrummelnd

Die alte Saeckin

bonanzaMARGOT - 18. Okt, 16:38

ebend,

diese jungendlichen sind zwar, wie du ganz richtig ausführst, nicht die harmlosesten babys aber bei weitem weniger schlimm als die alten säcke, die mit ihrer macht spielen!

komisch, irgendwie fühle ich mich durch deinen spruch "der will ja nur spielen" unangenehm angesprochen.
schreiben wie atmen - 18. Okt, 16:45

Wieso?
bonanzaMARGOT - 18. Okt, 17:05

wieso?

weil du mich quasi mit dem noch pubertierenden hosenscheißer in der straßenbahn gleichsetzt.
schreiben wie atmen - 18. Okt, 17:38

Aber bon.

Die Formulierung "der will doch nur spielen" ist eine flapsige Art den Begriff "harmlos" zu ersetzen. Harmlosigkeit findet genau wie jeder andere Begriff dieser Art auf verschiedenen Ebenen statt.
Ich setze Dich ganz und gar nicht gleich! Zum Glück ist mir auch wieder eingefallen auf welchen Kommentar Du Dich vermutlich beziehst.
Zudem sind die oben von mir gemeinten "pubertierenden Hosenscheißer" ja eben genau keine die "nur spielen" wollen. Denen geht m.E. jegliche Harmlosigkeit, sei es die freundliche oder die unfreundlich völlig ab.
In der Hoffnung, mit diesen Zeilen zur Aufklärung eines Mißverständnisses beigetragen zu haben.

Die alte Saeckin alias Angela
bonanzaMARGOT - 18. Okt, 17:44

darüber

muß ich erstmal nachdenken. bis später.
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