Alte Saecke - klinisch rein.
Zimmerlos saß die alte Saeckin auf dem Krankenhausflur in einem Besuchersessel gefangen, der ihr und ihrem arthritischen Knie das Aufstehen vermutlich nie mehr erlauben würde. Das aus untereinander geschmacksidentischen Würstel, Soße und Kartoffeln bestehende Mittagessen war eingenommen und, dank der deutlich unter Kniehöhe liegenden Sitzfläche, mittlerweile im hinteren, unteren Magenviertel versackt, wo es demnächst beginnen würde enttäuscht vor sich hin zu gären. Der lebensfrohe Patient im Sessel nebenan tat alles Erdenkliche, um die wortkarge alte Saeckin mit seiner Leidensgeschichte zu unterhalten. Nachdem diese sich der Schwester gegenüber trotzig weigerte ihre persönlichen Daten vor aller Ohren zum Besten zu geben, ließ man vorerst von ihr ab. Mehrere Stunden später gab der Vorpatient das der alten Saeckin zugedachte Zimmer doch noch frei, so dass die Dinge ihren Lauf nehmen konnten. Gerade als die Katheterdelinquentin beginnen wollte, sich Gedanken über die geplante Prozedur zu machen, wurde ihre Zimmerkollegin hereinbegleitet. Ohne Umschweife begann die ältere Dame ihre eigene Lebensgeschichte, sowie die aller nah- und weitläufigen Verwandten und Bekannten vor der alten Saeckin auszubreiten. An unnützes Grübeln war nun nicht mehr zu denken, die muntere Erzählerin hegte weder den Anspruch auf zum Thema passende Antworten, noch ließ sie sich durch Bücher irritieren die sich die alte Saeckin von Zeit zu Zeit vor die Nase hob. Die Stunden vergingen wie im Flug und während die eine oder andere Episode der alten Saeckin schon bekannt vorkam, nahte auf leisen Füßen die Nacht. Auch nach dem Löschen des Lichtes floss munter der Strom der Erzählungen weiter und es dauerte seine Zeit ehe Dunkelheit und Erschöpfung ein Einsehen hatten und die Decke des Schlafes über der Zuhörerin ausbreiteten.
Des Nachts führte ein simpler Toilettengang zu einer Fortsetzung der anscheinend zwischendurch tatsächlich unterbrochenen Erzählung. Geübt und müde gelang es der alten Saeckin sich erneut in Morpheus Arme zu werfen, ehe irgendwelche Inhalte ihr Bewusstsein zu erreichen vermochten. Überflüssig zu erwähnen wovon sowohl das Erwachen als auch das Frühstück begleitet wurden.
Als endlich der Abtransport zum Herzkatheter erfolgte, waren die Ohren der alten Saeckin schon so an die ständige Beschallung gewöhnt, dass die plötzlich eintretende Stille einer Implosion glich, die den Ohren die erschreckende Abwesenheit einer erzählenden Stimme signalisierte. Verzweifelt klammerte sich das Gehör an dem rhythmischen Scheppern der Räder fest.
Stille im Warteraum vor dem OP. Stille während der Vorbereitungen. So still, dass sogar das leise Klatschen der Desinfektionsmittelbäuschchen hörbar wurde als sie in der rechen Leiste auftrafen, von wo aus sie verschwenderische Ströme orangefarbenen Desinfektionsmittels am Oberschenkel entlang nach innen-hinten-unten schickten. Wärme stieg auf. Klatsch! Nun war das Handgelenk dran. Die Schwester schwieg, schwieg so herrlich konstant, dass die alte Saeckin fast schon ans Einschlafen hätte denken können, wäre da nicht die Beunruhigung gewesen die ein so unalltägliches Vorhaben wie eine Katheterisierung des eigenen Herzens nun mal im Patienten auslöst. Das kältebedingte Ganzkörperschlottern wurde mit einer laut knisternden und selbständig am Körper klebenden Plane besänftigt. Dann kam der Arzt. Auch er erfreulich wortkarg und zielstrebig. Stechen und Drücken am Arm. Erklärt wurde nur das Allernötigste.
"Wird jetzt warm" / "Schon vorbei" / "Sollte jetzt nicht mehr weh tun" / "Einatmen - nicht mehr atmen - weiteratmen" / "Danke"
Bitteschön. Einmal hatte er vergessen die alte Saeckin weiteratmen zu lassen. Er bemerkte ihr bläulich anlaufendes Gesicht noch rechtzeitig. Selbständig fand sie heraus, dass der Tintenfisch mit epileptischen Anfällen ihre Herzkranzgefäße waren. Die Rauchschwaden aus der dritten Vorhölle entpuppten sich als ihr Blut das durch die Herzkammern strömte.
Auch auf der Rückfahrt schepperten die Räder und der freundliche Transporteur schwieg mit Hingabe. Kaum war die Wiederinstallation im Krankenzimmer erfolgt, die alte Saeckin hatte gerade die Gelegenheit wahrgenommen ihre druckverbundene Hand in Augenschein zu nehmen und den imponierend angeschwollenen bläulichen Daumen als ihren eigenen zu identifizieren, da erhob sich aus dem Nachbarbett die Stimme der Frau Mattes die sie von derartig unwichtigen Betrachtungen erlöst.
"Grad ebe hat mich de Bernd ogerufe. Bei denne gebbts heit Kartoffelsupp. I heb ihne doch scho vom meim Bernd erzählt? Also des isch mei Jingschder und dem sei Frau die sauft, do muß mer sich direkt defier schäme..."
Ein Schutzengel hatte sich ans Bett der alten Saeckin gestellt. "Ich bin die Ohnmacht" flüstert er ihr zu und willig ließ sie sich von ihm davontragen, weit weg in eine Welt ohne Kartoffelsuppe, ohne Bernd, ohne saufende Schwiegertöchter , ohne Worte.... ohne Frau Mattes.
Des Nachts führte ein simpler Toilettengang zu einer Fortsetzung der anscheinend zwischendurch tatsächlich unterbrochenen Erzählung. Geübt und müde gelang es der alten Saeckin sich erneut in Morpheus Arme zu werfen, ehe irgendwelche Inhalte ihr Bewusstsein zu erreichen vermochten. Überflüssig zu erwähnen wovon sowohl das Erwachen als auch das Frühstück begleitet wurden.
Als endlich der Abtransport zum Herzkatheter erfolgte, waren die Ohren der alten Saeckin schon so an die ständige Beschallung gewöhnt, dass die plötzlich eintretende Stille einer Implosion glich, die den Ohren die erschreckende Abwesenheit einer erzählenden Stimme signalisierte. Verzweifelt klammerte sich das Gehör an dem rhythmischen Scheppern der Räder fest.
Stille im Warteraum vor dem OP. Stille während der Vorbereitungen. So still, dass sogar das leise Klatschen der Desinfektionsmittelbäuschchen hörbar wurde als sie in der rechen Leiste auftrafen, von wo aus sie verschwenderische Ströme orangefarbenen Desinfektionsmittels am Oberschenkel entlang nach innen-hinten-unten schickten. Wärme stieg auf. Klatsch! Nun war das Handgelenk dran. Die Schwester schwieg, schwieg so herrlich konstant, dass die alte Saeckin fast schon ans Einschlafen hätte denken können, wäre da nicht die Beunruhigung gewesen die ein so unalltägliches Vorhaben wie eine Katheterisierung des eigenen Herzens nun mal im Patienten auslöst. Das kältebedingte Ganzkörperschlottern wurde mit einer laut knisternden und selbständig am Körper klebenden Plane besänftigt. Dann kam der Arzt. Auch er erfreulich wortkarg und zielstrebig. Stechen und Drücken am Arm. Erklärt wurde nur das Allernötigste.
"Wird jetzt warm" / "Schon vorbei" / "Sollte jetzt nicht mehr weh tun" / "Einatmen - nicht mehr atmen - weiteratmen" / "Danke"
Bitteschön. Einmal hatte er vergessen die alte Saeckin weiteratmen zu lassen. Er bemerkte ihr bläulich anlaufendes Gesicht noch rechtzeitig. Selbständig fand sie heraus, dass der Tintenfisch mit epileptischen Anfällen ihre Herzkranzgefäße waren. Die Rauchschwaden aus der dritten Vorhölle entpuppten sich als ihr Blut das durch die Herzkammern strömte.
Auch auf der Rückfahrt schepperten die Räder und der freundliche Transporteur schwieg mit Hingabe. Kaum war die Wiederinstallation im Krankenzimmer erfolgt, die alte Saeckin hatte gerade die Gelegenheit wahrgenommen ihre druckverbundene Hand in Augenschein zu nehmen und den imponierend angeschwollenen bläulichen Daumen als ihren eigenen zu identifizieren, da erhob sich aus dem Nachbarbett die Stimme der Frau Mattes die sie von derartig unwichtigen Betrachtungen erlöst.
"Grad ebe hat mich de Bernd ogerufe. Bei denne gebbts heit Kartoffelsupp. I heb ihne doch scho vom meim Bernd erzählt? Also des isch mei Jingschder und dem sei Frau die sauft, do muß mer sich direkt defier schäme..."
Ein Schutzengel hatte sich ans Bett der alten Saeckin gestellt. "Ich bin die Ohnmacht" flüstert er ihr zu und willig ließ sie sich von ihm davontragen, weit weg in eine Welt ohne Kartoffelsuppe, ohne Bernd, ohne saufende Schwiegertöchter , ohne Worte.... ohne Frau Mattes.
schreiben wie atmen - 9. Dez, 18:09
808 mal gelesen
bonanzaMARGOT - 9. Dez, 20:02
virtueller schmatz, gerne mehr.
antworten
AmarettazuBlaue - 10. Dez, 12:33
Das Leben, wie es leibt und lebt, gut, dass Deine Bettnachbarin wenigstens nicht geschnarrcht hat.
Wünsche Dir gute Erholung von all dem Stress!
Herzlichen Gruß von Amaretta
Wünsche Dir gute Erholung von all dem Stress!
Herzlichen Gruß von Amaretta
bonanzaMARGOT - 10. Dez, 13:25
(mehr humor als tumor) erinnert mich
an meinen kh-aufenthalt letztes jahr im sommer. das war schon abenteuerlich, fast wie ... wie das dschungelcamp oder sowas. die lektüre war mein rettungsanker. noch niemals las ich jedes wort im spiegel und wenigstens 200 seiten von garcia marquez` "die liebe in den zeiten der cholera". auch hatte ich einen zimmernachbarn, der das ganze zimmer unterhielt. er hatte einen tumor in der blase und wollte seine tochter unter die haube kriegen. das meiste habe ich schon wieder vergessen. es war während der hitzewelle, und wir hatten keine klimaanlage.
es war schon ein komisches gefühl im bett zu den untersuchungen durch die flure geschoben zu werden ... ich fühlte mich wie im film ... als müßte ich irgendwelche mutproben bestehen ... z.B. die rektale sonografie der prostata ... tata ... oder sich von einer ärztin einen blasenkatheter legen lassen ... auch die "röhre" (CT) war spannend.
du hast mein mitgefühl, alte säckin.
bon.
es war schon ein komisches gefühl im bett zu den untersuchungen durch die flure geschoben zu werden ... ich fühlte mich wie im film ... als müßte ich irgendwelche mutproben bestehen ... z.B. die rektale sonografie der prostata ... tata ... oder sich von einer ärztin einen blasenkatheter legen lassen ... auch die "röhre" (CT) war spannend.
du hast mein mitgefühl, alte säckin.
bon.
uschuaia - 11. Dez, 10:28
anstatt bloggen
quatscht frau mattes sich eben einen. denk mal, würden alle leute die im netzt rumsabbern, ähm´bloggen - alle anwesenden natürlich ausgenommen - würden das, was eigentlich keiner wissen will, trotzdem loswerden wollen, was dann hiernieden los wäre.
der saft der vorhölle soll dich noch lang und fest durchfluten. bin froh, dass du das hinter dir hast. fühle dich gedrückt.
uschuaia
der saft der vorhölle soll dich noch lang und fest durchfluten. bin froh, dass du das hinter dir hast. fühle dich gedrückt.
uschuaia