Die A. E. - Briefe

16
Apr
2012

Die A. E. - Briefe: -3-

Wie erwartet gab es heute wieder einen Brief. Samen lagen dabei, sie sollen von einem Baum stammen den A.E. nicht zu benennen weiß. Die Samen alleine sagen mir auch nichts. Ich muss meine Kamera wieder fit machen. Vielleicht weiß ja hier irgendwer zu welcher Pflanze sie gehören könnten.

Aber mit den Briefen werde ich in der Reihenfolge bleiben. Hier also die Nummer 3:

"Guten Tag, meine Liebe,

soll ich Dir von dieser Stadt erzählen? Interessiert es Dich? Ich setze das genauso einfach voraus, wie ich voraussetze, dass Du meine Briefe liest. Fußt nicht auf derlei Annahmen unser ganzes Leben? Wir nehmen an, setzen voraus, unterstellen ..., was? Nahezu Alles, wenn man es genau nimmt. Einer nimmt an, er wisse, wie man sich zu benehmen habe. Ein anderer setzt voraus, dass der Partner ihn ebenso innig liebe, wie er diesen. Die Nächste unterstellt, ihr Kollege überlasse die undankbaren Arbeiten absichtlich ihr. Vielleicht haben sie ja recht damit, vielleicht aber auch nicht. Und ich? Wie oft habe ich schon müde, entnervt oder überheblich abgewinkt, wenn mich jemand dazu ermuntern wollte, herauszufinden, ob meine Annahmen berechtigt seien.

Aber eigentlich wollte ich Dir von der Stadt berichten. Von dieser leeren Stadt, in der ich heute kaum auf Menschen traf. Dunkle Wolkenbäuche stützten sich am Nachmittag auf die Firste der schiefergrauen Dächer. Ich war absichtslos aufgebrochen, einzig damit beschäftigt, mich auf mein Nichtstun zu konzentrieren. Nach ein paar Schritten schien mir, dass ich in dieser Stadt noch nie eine Tür hatte aufgehen sehen. Nur jener, durch die ich selbst getreten war, konnte ich mich entsinnen. Lange Zeit ließ mich dieser Gedanke nicht mehr los. Immer mehr verstieg ich mich in wunderliche Ideenkonstrukte darüber, welchen Grund es haben könnte, dass in dieser Stadt keine Menschen durch Türen traten.

Als unvermittelt, kaum einen Meter vor mir, eine Haustür geräuschlos aufschwang, erschrak ich heftig. Zuerst geriet mein Herz, und dann meine Beine ins Stolpern. Die junge Frau, die aus dem Haus getreten war, eine Asiatin wie mir schien, bemerkte mein Straucheln und wollte mir zu Hilfe eilen. Doch ich hatte mich schon wieder gefangen und wehrte höflich aber bestimmt ab. Oder war Stolz, vielleicht gar Eitelkeit der Anlass für meine abweisende Geste? Ich schlenderte betont gelassen weiter. Mit immer fernerem Absatzklappern hastete die Asiatin davon. Sie bog in eine Gasse ein und war verschwunden, als ich bis zur Abzweigung gelangt war.

Kurz erwog ich, in ein Café einzukehren. Da sich jedoch so schnell keines finden ließ, verwarf ich den Plan und machte mich statt dessen auf den Rückweg zur Pension. Kaum drei Minuten später stand ich vor deren Eingang. Mehr als zwei Stunden war ich ziellos durch die Stadt geschlendert und hatte mich fast an deren entgegengesetztem Ende gewähnt. Wie konnte ich nur so schnell zurückgelangt sein? Mißtrauisch steckte ich den Schlüssel ins Schloss, er passte. In meinem Zimmer fand ich alles so vor, wie ich es verlassen hatte. Ich legte mich auf das akkurat zurechtgezogene Bett. Das Deckbett fühlte sich warm an, als sei gerade eben noch ein Wesen, Mensch oder Tier, darauf gelegen. Statt erschreckt hochzufahren, statt entsetzt zu sein oder wenigstens ein namenloses Befremden zu verspüren, schmiegte ich meine Wange an den weißen, glatten Stoff und schlief augenblicklich ein.

Jetzt, da ich meine Erlebnisse für Dich aufschreibe, erscheint mir alles wie die Geschichte eines fremden Menschen. Aber ich selbst habe sie erlebt, wenn auch nur wie jemand, der auf sich nimmt, was einem Anderen zugedacht war.

Die Dämmerung kommt, ich möchte diesen Abendfrieden nicht durch künstliches Licht stören und schließe an dieser Stelle. Gute Nacht, bleib mir gewogen.

Dein A.E."
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14
Apr
2012

Die A.E. - Briefe: -2-

"Meine Liebe,

erst gestern habe ich dieses schmale Zimmer bezogen. Die Pensionswirtin ist freundlich. Sie fragt wenig, lächelt viel, und nickt jedes Mal, wenn sie mich sieht. Als würde sie damit bedeuten, dass sie mein Tun und Lassen gut heißt. Ich habe gesehen, wie sich ihr korallenroter Lippenstift im Laufe des Tages immer weiter in die feinen Falten rund um ihren Mund hineinarbeitet. Am Mittag habe ich sie das letzte Mal zu Gesicht bekommen, da wirkte ihr Mund deutlich größer als am Morgen, fast ein wenig vulgär.
Ich bin hierher gekommen um (wenigstens zunächst) nichts zu tun. Dass ich das kann, ist einer kleinen Erbschaft zu verdanken. Das Geld hätte mein Alter absichern sollen. Vielleicht ist es nicht besonders vernünftig, es jetzt und für ein solch seltsames Vorhaben auszugeben. Doch so alt, wie ich mich in den letzten beiden Jahren gefühlt habe, wünsche ich mir gar nicht zu werden. Irgendetwas ist sehr schief gelaufen in meinem ganz normalen, relativ ordentlichen Leben. Eines Tages wachte ich ich auf und wusste, dass nichts so war wie ich geglaubt hatte. Diese Erkenntnis versetzte mich zunächst in eine kalte Starre, dann überkamen mich Scham und eine tiefe Traurigkeit, die ich mir nicht erklären konnte. Eine Depression vielleicht? Oder eine herannahende Erkrankung, die ihre dunklen Sendboten vorausschickte? Viele Wochen wartete ich auf den Ausbruch von was auch immer, auf ein Fieber, einen trommelwirbelnden Schicksalsschlag. Nichts dergleichen geschah. Die Nächte blieben quälend, die Tage behielten ihren schalen Geschmack. Alles war wie immer. Ich tat die gleichen Dinge, die ich bisher getan hatte. Ich ging auf den gleichen Wegen, traf die gleichen Menschen, wiederholte Tag für Tag, was ich schon seit Jahren Tag für Tag wiederholte.
An einem Dienstagmorgen um halb elf Uhr begriff ich - und erschrak darüber nicht wenig -, dass ich weg musste. Weg von den Menschen, weg von den Wegen, weg von den gleichförmigen Tagen und von allem was damit zuammenhing.

Nun bin ich hier, ohne genau zu wissen, was ich zu finden hoffe. Ja, ich weiß noch nicht einmal, ob es überhaupt darum geht, etwas zu finden.

Aus dem Fenster meines langgestreckten, schmalen Zimmers schaue ich in die Krone eines alten Kirschbaums. Er steht in voller Blüte. Wenn man bei Sonnenschein die Fensterflügel öffnet, dringt das Summen der Insekten herein. Vielleicht sind es aber auch die Geräusche des Uhrwerks das den Kirschbaum dazu antreibt, zu sein was er ist. Woher weiß er nur so genau was er ist?

Ich verabschiede mich für heute und werde jetzt ausgehen. Einen Spaziergang durch die kleine fensterlose Stadt mit ihren vielen geschlossenen Mündern werde ich unternehmen. Vielleicht berichte morgen davon.

A. E.
1706 mal gelesen

12
Apr
2012

Die A.E. - Briefe: -1-

Manchmal kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es das Schicksal auf mich ganz persönlich abgesehen hat. Insonderheit dann, wenn es mal wieder Lust hat, mit irgendetwas zu werfen. Stecken, Steine, bunte Kugeln, Kopfnüsse ...
Die Briefe stellen allerdings eine neue, über die Maßen wunderliche Variante jener Interruptionen dar, die in meinem Leben das vorstellen, was bei anderen Menschen die Sprossen der Karriereleiter sind.
Den ersten Brief bekam ich Anfang März. Das Datum habe ich vergessen, ich hielt das Ganze damals für einen Scherz von zweifelhafter Qualität.

"Guten Tag,

Du wirst Dich zu Recht wundern, diesen Brief unter Deiner Post zu finden. Ich weiß nicht, ob Du Dich an mich erinnern kannst oder willst, dennoch möchte ich Dir diesen Brief, und vielleicht noch einige weitere, senden. Ich bin überzeugt, dass Du die richtige Adressatin für jene Dinge bist, die ich in der kommenden Zeit möglicherweise aufschreiben werde.
Der Anlass meines Schreibens ist ein Rückzug, den ich als Akt der Kraft und der Souveränität meinem bisherigen Leben entgegensetzen möchte. Nein, ich erwarte nicht, dass Du verstehst, worin Deine Rolle in dieser Angelegenheit besteht. Mir selbst ist es derzeit noch nicht möglich, diese Frage abschließend zu beantworten.
Es ist nicht mein Wunsch, Dich zu irritieren. Sei Du mir eine Leserin, die nichts Anderes zu tun hat, als meine geschriebenen Worte ohne Vorbehalte wahrzunehmen. Mehr braucht es vielleicht gar nicht - aber auch nicht weniger.

Es grüßt Dich, bis bald einmal

Dein A. E."


Es dauerte nur zwei Tage, bis der zweite Brief ankam, und meine Idee, dass es sich bei dem ersten Schreiben um einen nicht besonders originellen Scherz gehandelt habe, zunichte machte.

Seitdem erhalte ich in Abständen von zwei bis drei Tagen Briefe aus einem nicht näher bezeichneten Ort. Manchmal bin ich versucht, anhand des Poststempels herauszufinden, wo die Briefe aufgegeben sind. Dass ich es bisher nicht getan habe, mag mit der verrückten Befürchtung zusammenhängen, dass ich diesen Briefen mit jedem Rechercheschritt eine Wirklichkeit zugestehe, die ihnen gar nicht gebührt.

Bevor der heutige Brief eintraf waren vier Tage ohne Post von A. E. vergangen und ich ertappte mich dabei, mich zu sorgen um jenen oder jene A.E. Als ich heute die mittlerweile vertraute Handschrift erkannte, fiel mir ein Stein vom Herzen.

Die Sache absorbiert mich im Moment so stark, dass ich mich dazu entschlossen habe, die Briefe hier zu veröffentlichen. Ich will sehen, ob jener Mensch der mir schreibt, und der ganz offenbar Vieles von mir weiß, auch dieses Blog verfolgt. Wenn ja, kann er oder sie, indem er mir gegenüber seine Identität preisgibt, weiteres Öffentlichmachen verhindern. Wenn nicht, kann ich damit keine Persönlichkeitsrechte verletzen, da mir die Person des Schreibers oder der Schreiberin unbekannt ist. Zudem wurde ich zu keinem Zeitpunkt um Diskretion, Stillschweigen oder Zurückhaltung gebeten. Ich nehme mir also die Freiheit ...

Kommentare, Anregungen und Fragen sowie Ideen zur Charakteristik einer Person die hinter derartigen Briefen stecken könnte, nehme ich dankbar über die Kommentarfunktion oder nebenstehende E-Mail-Adresse entgegen.

So, und jetzt geht die Alte Saeckin (ja, die gibts echt noch!) in den Garten und lockert ihren Kartoffelackerboden.
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