5
Mai
2008

Alte Saecke haben Bedenken

Wenn man ein alter Sack ist, dann hat man allerlei. Man hat z.B. schon eine Menge Lebenserfahrung, man hat zu viele Dinge und hin und wieder hat man ganz einfach die Schnauze voll. Das alles ist normal und man kann mal besser, mal schlechter damit leben.
Womit man nicht gut, ja noch nicht mal einigermaßen erträglich leben kann, sind Bedenken. Aber gerade Bedenken hat man als alter Sack in zunehmender Zahl, und niemand kann einem sagen, wie man sie wieder los wird. Selbstverständlich findet sich gegen Geld jederzeit eine Therapeutin oder ein Therapeut der einem gut zuredet, man müsse lediglich lernen loszulassen, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren und eben all die Erkenntnisse die wir ja selbst fortwährend im Munde führen, wenn wir "den jungen Leuten heutzutage" beibiegen wollen wie Leben geht. Derartige semi-esoterischen Erkenntnisse kommen einem leicht über die Lippen. Man kann sie in wenigen Sätzen, die allesamt keines Kommas bedürfen, vermitteln, und sie gehen auch wirklich weg wie geschnitten Brot. Ändern tut das alles freilich nichts. Schon gar nicht befreit es uns alte Saecke von unseren BEDENKEN.
Neulich verriet mir eine befreundete alte Saeckin einen Trick den ich mit wachsender Begeisterung anwende:
Vor dem Einschlafen versuche ich, mir auf Teufel komm raus allerlei Bedenken zu machen. der erstaunliche Effekt: alles was auch nur entfernt nach BEDENKEN aussieht, zieht sich verschreckt zurück in eine dunkle Ecke jener mentalen Müllhalde die man Seele nennt. Und dann herrscht erstmal gespenstische Ruhe: KEINE BEDENKEN MEHR. Als wären sie ausgestorben oder ohnehin nur Produkte meiner überreizten Phantasie gewesen. Ich entschlummere selig. Was schert es mich in diesem Moment, dass bis zum kommenden Morgen auch noch das letzte Bedenken den Betrug bemerkt hat und als Teil einer geifernden und kläffenden Rotte bereit steht, um mich durch den herandräuenden Tag zu hetzen.
BEDENKEN, dass ich zu spät komme oder zu früh; BEDENKEN, dass ich zu erfolgreich oder zu erfolglos bin; BEDENKEN, dass ich zu gut oder zu schlecht aussehe; BEDENKEN, dass meine Kleidung zu schrill oder zu langweilig wirkt - etc. etc..
Aber wartet nur, am Abend! da werde ich alles wieder in den Griff bekommen. Da werde ich Siegerin sein, wenn ich mit hängender Zunge und leicht asthmatischem Röcheln im Bett liege und meine BEDENKEN herausfordere.
Gestern hatte ich zum ersten Mal einen traurigen Erfolg zu verzeichnen: ich schlief wahrhaftig mit dem BEDENKEN ein, dass ich, von Charlotte Roches "Feuchtgebieten" transpiriert, einen ähnlichen Müll ausschwitzte der da hieß:
"Matsch, Morast und andere Wüsten"
Aus dieser unglückseligen Wendung der Dinge Rückschlüsse auf die Wirkung von BEDENKEN zu ziehen, überlasse ich meiner geneigten Leserschaft.
Bedenklich gestimmt

die alte Saeckin
727 mal gelesen
bonanzaMARGOT - 6. Mai, 14:58

hm,

du liest "feuchtgebiete"? ich kenne das buch nicht, alte s., aber es klingt irgendwie nach dem trockenlegen von nie gehabten träumen.
es klingt nach künstlichem witz. lese sowas nicht, und du wirst zumindest mal ein bedenken los, nämlich das bedenken, in irgendeiner weise großartig sein zu müssen, oder dich wenigstens großartig fühlen zu müssen. sei einfach du und sage dir, dass die welt, wie sie sich einem gerne zeigt, theater ist. ein scheiß theater und nicht mehr.
es gibt tatsächlich ernsthafte bedenken. die sollte man auch nicht betrügen oder ignorieren. manchmal kommt es mir vor, als ob viele meiner mitmenschen die ernsten von den nebensächlichen bedenken nicht mehr trennen können, und also alles irrwitzig durcheinander wirbeln. nur so läßt sich z.b. der schönheitswahn erklären und der damit verbundene reibach der kosmetik-industrie. nur so läßt sich erklären, warum menschen unglücklich sind, weil die kautschgarnitur in der falschen farbe geliefert wurde.
dagegen werden ernste bedenken, z.b. die eigene genußsucht oder das gehetzt sein von einem termin zum anderen, oberflächlich abgetan. doch die bedenken nagen natürlich an einem, auch wenn man sie zwischenzeitlich ausblenden kann.
meine bedenken drehen sich meist um krankheit und tod. ich frage mich, was für einen sinn das leben eigentlich hat, wenn man irgendwann dumm stirbt. manchmal ist mir das egal,weil es mir gut geht; aber an tagen wie heute, an denen ich an allem zweifle, beinahe verzweifle, sehe ich nur unsinn und tragik ... gewürzt mit teuflischer ironie.
wie du es sagst: man hat so seine launen, und je nach laune findet man sich und die welt prima oder eben zum kotzen. bedenklich wird es, wenn die depression überhand nimmt. ansonsten sage ich mir halt: okay, morgen ist auch noch ein tag und versuche mich abzulenken. ich rede dann von einem leichten seelenkatarrh.

deine bedenken kann ich schwer einschätzen, alte s., das musst du selbst. vielleicht liest du einfach mal was anderes.

gruß
bon.

graugans54 (Gast) - 6. Mai, 17:33

Die Feuchtgebiete habe ich nicht gelesen, nur etwas darüber - ich hörte, das Buch hat "Stellen" (mit norddeutsch ssspitzem st), wie man früher man bei uns sagte. Bücher mit "Stellen" las man im Urlaub. Zum Thema: Das mit den Bedenken ist betrüblich - sowas kann sich steigern bis man krank vor Sorge ist. Neige selbst dazu, leider. Letztlich kann man aber nicht alle Last der Welt auf den eigenen Schultern tragen und muss ein bischen Fatalismus zulasssen. Zu Zeiten, als ich noch eine Taille hatte, die nach Schmuckgürteln verlangte (wir sprechen von den Siebzigern), besaß ich einen solchen silbernen mit einer Schnalle in Form einer Wolke. Darauf stand der Spruch: Every cloud has a silver lining. Das kann man auch mal bedenken.

bonanzaMARGOT - 7. Mai, 17:05

fatalismus

ist echt in dosen zu empfehlen, graugans. das ist die beste medizin, unabhängig vom sonstigen esoterischen meeresgerausche.
ich unterstütze meinen fatalismus mit bier, bukowski oder dem wiederlesen der sachen, die ich vor 20 jahren schrieb.
oder ich höre musik aus den siebzigern. dann denke ich zurück an meine ersten verliebtheiten, und wie ich mit meinem moped ausflüge in den odenwald machte, anstatt für meine zukunft zu lernen.
nun bin ich ein (mittel)alter baum. meine rinde ist dick, ich trage viele äste ... vom einen ende kann ich kaum das andere erkennen. das alles bin ich ... auch der junge von damals, und sein liebendes herz ... auch der mensch mit den vielen narben und verletzungen, der über die menschliche existenz flucht ...
zufällig hörte/sah ich nächtens eine ergreifende doku (diesmal im arte-kanal). ich konnte mal wieder nicht schlafen. und als ich die überlebenden des flugzeugabsturzes über ihr schicksal, über ihre passion damals, reden hörte, war an schlaf gar nicht mehr zu denken. http://de.wikipedia.org/wiki/Uruguayan-Air-Force-Flug_571
die doku, bei der hauptsächlich die überlebenden zu wort kamen war ungeheuer ergreifend - ein zeugnis aus dem grenzbereich menschlichen handelns, fühlens, erlebens und begreifens.
unter unmöglichen bedingungen überlebten ein paar insassen der in den anden abgestürzten maschine ...

ohne einen gewissen "fatalismus" hätten sie wahrscheinlich nicht überlebt.
vielleicht war es ein wunder. einer der überlebenden sagte, er hätte sich, als er bereits fast aufgegeben hatte, wie der "kumpel gottes" gefühlt - er war eins mit allem ... er war eins mit dem schöpfer und dieser furchtbaren, unbezwingbaren natur ...
die letzte kraft erhielt er aus dem himmel, aus der erde, von den bergen, aus der allkraft selbst.
so würde ich es sagen.

ich finde es oft beschämend, wie wir uns in unserer satten zivilisation von solchen gefühlen immer weiter und weiter entfernen.

bon.
endlosfaden (Gast) - 16. Mai, 18:26

Liebe alte Bedenkenträgerin,

wie ich lese, verlieren offenbar deine Zeiten zunehmender Reife und Weisheit bedenklich an Qualität. Doch mir fällt auf, dass das nur eine Bevor-Bedenken-Betrachtung ist, mit der du auf halber Strecke stehen bleibst :-).
Gibt es denn gar keine Bewertung, keine Vorher-Nachher-Show? Kein Aschenputtelverfahren, sondern nur das ASSDS (Alte Säckin sucht die Superbedenken)?
Vielleicht wäre es eine hilfreiche Methode, die unwillkommenen Bedenken in einerseits willkommene Warnungen zu wandeln oder ihnen andererseits die vampirische Lebensenergie zu entreissen.
Also: falls sich das ncähste Mal ein Bedenklein festsetzt, lass es einfach da. Wenn die bedenkliche Situation vorbei ist, überprüfe dich von der Nützlichkeit.
War es richtig, sich zu melden, dann darfst du es lieb haben. Wenn nicht, zertrete es in seine Buchstaben.

Bedenkenlose Grüße Endlosfaden

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