Wenn man ein alter Sack ist, dann hat man allerlei. Man hat z.B. schon eine Menge Lebenserfahrung, man hat zu viele Dinge und hin und wieder hat man ganz einfach die Schnauze voll. Das alles ist normal und man kann mal besser, mal schlechter damit leben.
Womit man nicht gut, ja noch nicht mal einigermaßen erträglich leben kann, sind Bedenken. Aber gerade Bedenken hat man als alter Sack in zunehmender Zahl, und niemand kann einem sagen, wie man sie wieder los wird. Selbstverständlich findet sich gegen Geld jederzeit eine Therapeutin oder ein Therapeut der einem gut zuredet, man müsse lediglich lernen loszulassen, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren und eben all die Erkenntnisse die wir ja selbst fortwährend im Munde führen, wenn wir "den jungen Leuten heutzutage" beibiegen wollen wie Leben geht. Derartige semi-esoterischen Erkenntnisse kommen einem leicht über die Lippen. Man kann sie in wenigen Sätzen, die allesamt keines Kommas bedürfen, vermitteln, und sie gehen auch wirklich weg wie geschnitten Brot. Ändern tut das alles freilich nichts. Schon gar nicht befreit es uns alte Saecke von unseren BEDENKEN.
Neulich verriet mir eine befreundete alte Saeckin einen Trick den ich mit wachsender Begeisterung anwende:
Vor dem Einschlafen versuche ich, mir auf Teufel komm raus allerlei Bedenken zu machen. der erstaunliche Effekt: alles was auch nur entfernt nach BEDENKEN aussieht, zieht sich verschreckt zurück in eine dunkle Ecke jener mentalen Müllhalde die man Seele nennt. Und dann herrscht erstmal gespenstische Ruhe: KEINE BEDENKEN MEHR. Als wären sie ausgestorben oder ohnehin nur Produkte meiner überreizten Phantasie gewesen. Ich entschlummere selig. Was schert es mich in diesem Moment, dass bis zum kommenden Morgen auch noch das letzte Bedenken den Betrug bemerkt hat und als Teil einer geifernden und kläffenden Rotte bereit steht, um mich durch den herandräuenden Tag zu hetzen.
BEDENKEN, dass ich zu spät komme oder zu früh; BEDENKEN, dass ich zu erfolgreich oder zu erfolglos bin; BEDENKEN, dass ich zu gut oder zu schlecht aussehe; BEDENKEN, dass meine Kleidung zu schrill oder zu langweilig wirkt - etc. etc..
Aber wartet nur, am Abend! da werde ich alles wieder in den Griff bekommen. Da werde ich Siegerin sein, wenn ich mit hängender Zunge und leicht asthmatischem Röcheln im Bett liege und meine BEDENKEN herausfordere.
Gestern hatte ich zum ersten Mal einen traurigen Erfolg zu verzeichnen: ich schlief wahrhaftig mit dem BEDENKEN ein, dass ich, von Charlotte Roches "Feuchtgebieten" transpiriert, einen ähnlichen Müll ausschwitzte der da hieß:
"Matsch, Morast und andere Wüsten"
Aus dieser unglückseligen Wendung der Dinge Rückschlüsse auf die Wirkung von BEDENKEN zu ziehen, überlasse ich meiner geneigten Leserschaft.
Bedenklich gestimmt
die alte Saeckin
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